Der Ausdruck sprachlicher Höflichkeit ist nicht allein eine Frage allgemeiner Konventionen, sondern kann in starkem Maße abhängen von ethnischen, sozialen, rollen-, geschlechts- oder auch zeitspezifischen Faktoren. Darüber hinaus ist Höflichkeit ein unverzichtbarer und elementarer Bestandteil alltäglicher Kommunikation. Beziehungspflege, die Art und Weise, wie Sprecher sich wechselseitig ihre Wertschätzung zu erkennen geben, wie Partner-Konstellationen signalisiert oder ausgehandelt werden, all das gehört zu den Formen normalen kommunikativen Umgangs, und zwar unabhängig davon, inwieweit dies den Beteiligten bewußt ist.
Ohne Beziehungspflege, ohne Regelung des Miteinander ist Kommunizieren generell kaum vorstellbar; jeder Austausch, ob schriftlich oder mündlich, etabliert gleichzeitig eine bestimmte Form der Partner-Konstellation, bestätigt oder verändert diese und sorgt damit für eine gemeinsame Verständigungsgrundlage. Das hierfür nötige Zusammenspiel zwischen den Beteiligten und deren gemeinschaftliche Leistung kommt in mündlicher Kommunikation meist deutlicher zum Ausdruck als in schriftlicher, der interaktive Charakter wird in dialogischer Wechselrede eher manifest als in schriftkonstituierten Texten.
Diese – keineswegs neue – Beobachtung hat in den letzten Jahrzehnten auch die linguistische Pragmatik zunehmend beschäftigt und zu zahlreichen Detailstudien geführt (vgl. Lüger 2002, Ehrhardt / Neuland 2009). Als ein wichtiger Orientierungs-Begriff fungiert dabei nach wie vor das „face-saving“-Konzept von Brown / Levinson (1987) – trotz gelegentlich vorgebrachter Kritik (vgl. Watts 2003: 98ff.). Höflichkeit stellt sich aus dieser Perspektive im Kern dar als wechselseitige Respektbezeugung, und zwar mit den Optionen Ausdruck von Wertschätzung einerseits und Zeigen von Freiraumgewährung andererseits. Auch ohne den Universalitäts-Anspruch hier übernehmen zu wollen, dürfte das Modell durchaus eine Reihe von Ansatzpunkten bieten, um die Analyse verbaler Höflichkeit voranzubringen.
Das Anliegen des Vortrags besteht weniger darin, neue höflichkeitstheoretische Postulate zu entwerfen. Es geht vielmehr um eine Beschreibung konkreter sprachlicher Höflichkeitsformen, wobei sich mindestens drei Analyse-Ebenen unterscheiden lassen: die Formulierungsweise von Äußerungen, die Wahl sprachlicher Handlungen, die Verknüpfung sprachlicher Handlungen zu Sequenzen bzw. Texten. Schließlich soll versucht werden, anhand deutscher und französischer Beispiele sprach- und kulturspezifische Aspekte verbaler Höflichkeit aufzuzeigen.
Literatur
Brown, P. / Levinson, St.C. (1987): Politeness. Some universals in language usage. Cambridge.
Ehrhardt, C. / Neuland, E. (Hrsg.) (2009): Sprachliche Höflichkeit in interkultureller Kommunikation und im DaF-Unterricht. Frankfurt/M.
Lüger, H.H. (Hrsg.) (22002): Höflichkeitsstile. Frankfurt/M.
Watts, R.J. (2003): Politeness. Cambridge.